------- memory - mental hospital series
memory - O. mental hospital, Vienna Austria
2005, lambda print
memory - Justizanstalt, Göllersdorf Austria
2005, lambda print
memory - B. mental hospital, Taufkirchen Germany
2003, lambda print
memory - F. mental hospital, Zschadrass Germany
2003, lambda print
memory - W. mental hospital, Lippstadt Germany
2003, lambda print
Brunswiker Raum, Kiel Germany
Der Blick durch das Fenster als gebändigtes Schauen
Dr. Johannes Lothar Schröder
über die Fotoinstallation Memory von Minako Saitoh
Memory heisst das Projekt Minako Saitohs, und das Gedächtnis, auf das sie sich bezieht, geht zurück auf den Blick eines kranken Kindes vom Krankenhausbett in die Welt, aus der es ausgesperrt ist. Ein Blick der zweifellos sehnsuchtsvoll war, aber auch unendlich viel Zeit auf den Ausschnitt der äußeren Wirklichkeit verwenden konnte, der sich durch das Fenster des Krankenhauses zeigte. Von einem festen Punkt im Raum unterhalb der Fensterkante wurde der Blick durch das Fenster auf einen begrenzten Ausschnitt der Welt verengt, in dem sich wenig ändert. In dem Richtung Himmel gelenkten Blick spielen sich bekanntlich primär atmosphärische sowie tages- und jahreszeitlichen Erscheinungen ab, die manchmal durch ihre Effekte auf Dächern und Bäumen ergänzt werden.
In der Langeweile mischen sich solche Blicke mit Sehnsucht zu inneren Bildern oder die reduzierten empfangenen Sinnesreize werden in phantastische Ereignisse eingefügt, welche auch Dinge außerhalb des Ausschnitts mit einbeziehen. So bilden Geräusche Indizien für die jenseits des Blickfeldes unsichtbaren Ereignisse. Vielleicht ähneln diese unscharfen, nur peripher das Bewusstsein streifenden Episoden, diese Wunschbilder und Tagträume, diese lange zurück liegenden Erinnerungen aus der Kindheit in der Erinnerung dem Zustand vor dem Erwachen. Es ist dubios und zufällig, was die Erinnerung davon in die Zeit hinein trägt. Mit ihren Fotos und deren Installationen möchte sich die Künstlerin diesem Zustand wieder nähern. Dazu bietet sie dem Publikum keine opulenten Phantasiebilder sondern nüchterne fotografisch aufgezeichnete Blicke durch Fenster. Saitoh richtet ihre Installationen bedachtsam ein und schafft so etwa durch Fotos auf Diaphragmen, die im künstlichen oder natürlichen Licht installiert sind, Erfahrungsräume, die eigene Erinnerungen an kindliche Blicke fördern, wie sie von Erwachsenen für Kinder eingerichtet sind, die aus einer Postion unterhalb des Fensterbretts aus den Räumen schauen oder sich wegen Krankheit und kleinkindlicher Hilflosigkeit nicht frei bewegen können.
Während ihres Stipendiums in Deutschland hat sie um die Erlaubnis ersucht, in psychiatrischen Kliniken aus den Räumen der Kranken nach Aussen fotografieren zu dürfen. In drei Kliniken hat sie die Blicke durch Fenster mit ihrer Kamera festgehalten. Im Brunswiker Raum in Kiel wurde am 4. Juni 2003 eine Installation eröffnet, die den Rezipienten ein 2x2 m großes Diaphragma mit dem Blick auf einen barocken Altar vorstellt, der durch unscharfe helle und dunkle Streifen verstellt ist. Mit einer langen Brennweite aufgenommen, liegen diese sich kreuzenden unscharfen Linien wie ein unscharfes Raster im Motiv.
Aufschluß über die Herkunft der Störstellen in der Räumlichkeit erlangen die Rezipienten durch eine Folge von kleinformatigen Prints aus der Serie, die erlauben die horizontalen und vertikalen Streifen vor dem mit Blattgold verzierten Altar zu identifizieren. Es handelt sich um die vergitterten, halb offenen Flügel eines vierflügeligen Fensters auf der Empore der Schloßkapelle in Taufkirchen, die üblicherweise dem Schloßherren und seinen Angehörigen erlaubte, die Kapelle von seinen privaten Gemächern aus zu betreten und ohne direkten Kontakt mit Gesinde und dem Volk am Gottesdienst teilzunehmen. Oftmals wurde die Fürstenempore durch Fenster von der im Winter ungeheizten Kapelle abgetrennt. Diese Situation der Öffnung und der Abtrennung des Privaten vom Öffentlichen wurde nach der Umnutzung des Schlossen als Asyl des Landarmenverbandes Oberbayern prekär und durch die Einbeziehung in das Projekt Memory visualisiert und in einen konzeptuelles Feld gestellt. Innerhalb der Klinik wurde die Schloßkapelle zur Krankenhauskapelle, so dass die Fensteröffnung, die früher Privat- und Sakralraum verband, nun eine trennende Funktion zwischen dem öffentlichen und dem geschlossenen Bereich einer Anstalt bildet. Hier bricht sich der Übergang von Innen nach Außen im Lichte der Blicke von Patienten, die die Künstlerin mit dem Projekt einnimmt. Der Blick durch das Fenster der Empore verläßt entgegen der gewöhnlichen architektonischen Funktion eines Fensters jedoch nicht die Architektur, sondern geht von einem Raum in den angrenzenden nächsten Raum über. Draußen zeigt sich dem Patienten jedoch entgegen der Konvention nicht die Natur sondern ihre stilisierten Elemente, die in Formen der Innenarchitektur und der Altargestaltung eingegangen ist. Der Altar läßt Blattwerk, Zweige, Girlanden, Schnecken in Form von Rollwerk, sowie Engel erkennen. Auch der Raum selbst enthält Naturzitate, die auch im Stuck des mehrgeschossigen lichtdurchfluteten Sakralraums aufzufinden sind.
Die auf den Fotos von Fensterblicken in Form von Wolken, Versatzstücken von Bäumen und Häusern sichtbare Natur und Architektur liegt auf ihren Fotos aus Taufkirchen in einer doppelt künstlerisch geronnenen Form vor. Sie zeigt Natur als spätbarockes Versatzstück als Zitat der im barocken Bewußtsein durch Zivilisation zu zähmenden Natur. Dieser Prozess der Unterwerfung des anarchisch Wuchernden und des ungezügelt Wilden hat wiederum, wie Michel Foucault gezeigt hat, zur Internierung von Kranken, Armen, Sichen, Verrückten usw. geführt, zu denen auch die Kontrolle über den Wahnsinns gehörte, dem gegenüber die Menschen der Renaissance noch eine konziliante Haltung eingenommen hatte, ehe die Zwangsmaßnahmen des 17. Jhs. griffen. Diese mit der historischen Kulisse aufgerufene kollektive Erinnerung vereint sich im Lichte des Werk Saitohs zu einer doppelt geronnene Erinnerung. Es ist die historische Erinnerung an den institutionalisierten Umgang mit Krankheit und die Suche nach der fotografischen Belichtung einer im Halbschatten der Kindheitserinnerung liegenden ästhetischen Prägung der Künstlerin.
Saitohs Fotos werden zu einem Paradigma, in dem sich jeder aufmerksame Beobachter in bestimmten Stadien seines Lebens wiederfinden kann und das im Blick durch das Fenster aus der Perspektive der Kindheit einen langen zivilisatorischen Prozess berührt, in dem Bilder als Ergebnis ihrer Bändigung durch Institutionen ausgeformt werden.